» Was ich aus meinem Inneren herauslasse und was ich hineintue, daran erfahre ich die Grenze. Was mich berührt, daran erfahre ich die Grenze noch einmal. «
Günther Domenig
Architekt, Mensch, Denker
Mein erster Gedanke. Als ich im Frühjahr 1987 erstmals Günther Domenig auf seiner Baustelle in Steindorf in Kärnten besuchte, dachte ich mir: Welch ein Wahnsinn, nun baut Günther Domenig tatsächlich dieses von ihm erdachte, für eine Realisierung kaum vorstellbare Gebilde, schlitzt die Erde auf, um Wurzeln für seine Architektur zu pflanzen. Und schon damals war für mich, angesichts dieses in den Boden geschlagenen Stückes Architektur, klar, dass die Hitze der Spontaneität, die Wärme des Vitalen mit der Kälte der Berechenbarkeit, mit der Kühle des Machbaren eine Symbiose eingehen.
Peter Noever
Leben
Geboren 6. Juli 1934 in Klagenfurt, als einer von zwei Zwillingsbrüdern, der andere, sein Bruder Herbert. Der Vater, Bezirksrichter in Klagenfurt, Nationalsozialist, 1944 in Triest von Partisanen aufgegriffen und hingerichtet. Die Mutter NSDAP-Funktionärin. Die Kindes- und Jugendjahre während der NS-Zeit überwiegend im Kärntner Mölltal verbracht.
Besuchte die HTL in Villach. Studierte von 1953 bis 1959 an der Technischen Hochschule in Graz Architektur. Dann zog es ihn vorübergehend nach Wien, bevor er als Architekt wieder nach Graz zurückkehrte und dort selbst an der TU Graz lehrte, ab 1980 als Professor.
Von der Ideologie seiner Eltern und seiner Kindheit hatte er sich schon früh radikal abgewendet. Entwickelte sich zu einer in jeder Beziehung nonkonformistischen Identität – als Person und auch als Architekt. In seinem Leben, wie auch in seinen zahlreichen beachteten und gleichzeitig auch in Frage gestellten Werken manifestierte sich sein Denken, sein Charakter und seine gestalterische Kreativität. Seine Werke verschmolzen mit seinem Leben, mit seinem Körper, seinem Fühlen und Denken zu Elementen seiner Biografie.
» Was die Hand tut, was der Kopf tut, ist das Haus. Haus und Ereignis samt Menschen darin. Was ich aus meinem Inneren herauslasse und was ich hineintue, daran erfahre ich die Grenze. Was mich berührt, daran erfahre ich die Grenze noch einmal. Im übertragenen Sinn ist das Haus zugleich mein Körper – mein Fühlen – mein Denken. «
Günther Domenig
WERK
Günther Domenigs Werk war geprägt vom Rückbezug auf sein Leben – seinem Herkommen, seinen Erfahrungen, seinen Erkenntnissen –, von Naturerfahrungen in seiner Kindheit – schroffen Bergen, sanften Landschaften, wundersamen Gebilden – und von einem omnipräsenten ICH – seiner Persönlichkeit, seinem Sehen und Fühlen, seinem Denken.
So folgte sein Werk im Laufe der Jahrzehnte der Entwicklung seines Schöpfers – vom unbeugsamen, neugierigen Nonkonformisten zum gnadenlosen Umsetzer seines eigenen Verständnisses von Geometrie und Funktionalität.
1977: Mensa Schulschwestern Graz-Eggenberg
Co-Projekt mit Eilfried Huth. Höhe- und Wendepunkt der Organhaftigkeit (Raupenschale) in Domenigs Architektur in Richtung einer dynamisch-konstruktiven Sprache. (nach Matthias Boeckl)
1979: „Z“-Bankfiliale Wien-Favoriten
Weiterentwicklung des Organoiden ins Konstruktive unter Integration dieser radikalen Position in den Baubetrieb einer Großstadt. (nach Matthias Boeckl)
2001: Dokumentationszentrum Reichsparteitagsgelände Nürnberg
Co-Projekt mit Gerhard Wallner. Der „Pfahl“ als diagonale Erschließungsachse und zentrales Motiv Domenigs den gewaltigen NS-Altbau durchdringend. (nach Matthias Boeckl)
Werkliste (Auszug):
- Pädagogische Akademie Graz (1963–1969) mit Eilfried Huth
- Studie „Neue Wohnform Ragnitz“ (1965–1969) mit Eilfried Huth
- Katholische Kirche Oberwart (1966–1969) mit Eilfried Huth
- Projekt „medium total“ (1970) mit Eilfried Huth
- Pavillon der Olympiaschwimmhalle München (1970–1972) mit Eilfried Huth
- VÖEST Forschungs- und Rechenzentrum Leoben (1970–73) mit Eilfried Huth
- Mehrzwecksaal der Schulschwestern, Graz-Eggenberg (1974–1977) mit Eilfried Huth
- Z“-Bankfiliale Wien-Favoriten (1974–1979)
- Haus Eigner, Neunkirchen (1978)
- Schiffswerft Klagenfurt (1978–82) mit Volker Giencke
- Humanic Schuhläden in Kärnten, Wien, Steiermark (1979–83)
- Boutique „Rikki Rainer“ Klagenfurt (1983–84)
- Erweiterung der Technischen Universität Graz (1983–93)
- Wohnanlage Neufeldweg Graz (1984–1988)
- RESOWI Zentrum der Karl-Franzens-Universität Graz (1985-1996) mit Hermann Eisenköck
- Umbau Bank Austria Hauptanstalt, Wien-Mitte (1986–92) mit Peter Podsedensek
- Umbau „Fundernovum“ St. Veit/Glan-Glandorf (1987–1988)
- Kraftwerk Unzmarkt (1987–1989) mit Peter Hellweger
- Landeskrankenhaus Bruck/Mur (1987–1994)
- Mursteg Graz (1991–92)
- Umbau Schloss Neuhaus (1991–1992)
- Wohnbau Kudlichgasse Klagenfurt (1992–1998) mit Hermann Eisenköck
- Wohnbau Orsini-Rosenberggründe Klagenfurt (1993–2000) mit Hermann Eisenköck
- Center am Kai Graz (1993–94) mit Hermann Eisenköck, Harald Egger
- Kärntner Landesausstellung Hüttenberg-Heft (1993–94)
- GIG Industriepark Völkermarkt (1993–95)
- Hauptschule Wien-Essling (1993–1996)
- Heidenbauer-Werk 2 Wiener Neudorf (1994–1995)
- Bank Austria Villach (1994–1995) mit Hermann Eisenköck
- Bühnenbild und Kostüme für Elektra, Grazer Oper (1995)
- Stätte der Begegnung, Hermagoras Verlag Klagenfurt (1995)
- Musikpavillon Landesausstellung Murau (1995)
- Museumserweiterung Landesausstellung Leoben (1995–97)
- Aus- und Umbau des Stadttheaters Klagenfurt (1995–1998)
- Kunstakademie Münster, Deutschland (1995–2000) mit Raimund Beckmann
- Landschafts- und Objektgestaltungen S1/B 301 (1996–2006)
- Landeskrankenhaus Graz-West (1997–2002) mit Hermann Eisenköck, Rupert Gruber
- Bühnenbild „Moses und Aron“, Grazer Oper (1998)
- Kraftwerk Rio Ebro, Xerta, Spanien (1998–2001) mit Christian Halm
- Dokumentationszentrum Reichstagsgebäude Nürnberg, Deutschland (1998–2001)
- Hotel Augarten Graz (1999–2000)
- Ossiachersee Halle Steindorf (2000–2002)
- AHS Wolkersdorf (2000–2003) mit Hermann Eisenköck (Architektur Consult)
- Druckwerk Carinthia St. Veit/Glan (2002–2004) mit Herfried Peyker (Architektur Consult)
- T-Center St. Marx Wien (2002–2004) mit Hermann Eisenköck, Herfried Peyker (Architektur Consult)
- Schulzentrum Mühleholz II Vaduz, Liechtenstein (2002–2008) mit Peter Kaschnig
» Ich möchte träumen in der Wirklichkeit und ich möchte
die Grenze erfahren in der Realität des Bauens. «
Günther Domenig
Zitate
„Fliegen. Ich wäre mein Leben lang gerne Flieger geworden. Ich wäre immer gerne mit einem Flugzeug geflogen. Und es ist nie dazu gekommen und der Vogel ist irgendwie ein Abbild dieses Traumes. Mein Vogel ist ein grenzgängerisches Objekt der Herstellung und mein Haus ist es auch. Bis an die Grenzen der Machbarkeit. Der Machbarkeit auch im formalen Sinne, nicht nur im konkreten Sinne des Bauens. Und in diesem Sinne haben beide Objekte eine Verwandtschaft. Und beide gehören zusammen. Und der Vogel soll genauso assoziativ wegfliegen können, wie mein Haus auch wegfliegt. Obwohl es nicht fliegen kann.“
„Gebilde. Ich verwende das Wort „Gebilde“ gern, weil ein Gebilde ist eine Ganzheitlichkeit eines Ausdruckes und ein Gebäude ist im konventionellen Sinne etwas, das auch in erster Linie mit Funktion und Ökonomie zu tun hat. Und mir ist eine skulpturale Architektur in diesem Sinne wichtiger, als jede einzelne Funktion.“
„Traum. Ich möchte träumen in der Wirklichkeit und ich möchte die Grenze erfahren in der Realität des Bauens. In den Sechzigerjahren war es so, dass die engagierten Architekten, die mehr wollten, als nur Häuser zu bauen, geträumt haben. Geträumt haben sie am Papier, und gebaut haben sie in der Langeweile der Wirklichkeit. Und mich hat irgendwann einmal interessiert, das nicht zu tun.“
„Neues. Mich interessiert eigentlich nur was Neues in der Architektur. Und deswegen gibt es auch nie und nirgends irgendein Gebilde, das sich wiederholt. Und was Neues in meinem Sinn heißt, in den ganzen Architekturen, die ich mache, etwas Ungewöhnliches. Und damit hatte ich Schwierigkeiten viel mehr mit den Behörden, als sonst. Und das macht das Leben der Arbeit sehr aufwändig.“
„Kompliziert. Die Sachen sind zum Teil sehr sehr kompliziert und verwunden und schräg und schief und so. Also es wäre nicht möglich gewesen, das nur zu zeichnen und es den Leuten zu überlassen. Ich bin der Spezialist der Architektur, und der Entwicklung und des Zeichnens, aber nicht der Ausführung. Und ich habe viele Projekte gehabt, wo ich immer wieder die Kontakte zu den Handwerkern hatte. Und es ist eine wechselweise Situation eines Lernprozesses. Und ich verstehe diese Menschen nicht, die Architekten, die mit dem Bauen selbst nichts zu tun haben wollen und die behaupten, eine Zeichnung ist schon die Realität. Und das Bauen ist das Problem der anderen. “
„Beziehungen. Ich wollte nicht allein ein Haus bauen, das nur auf dem Grundstück steht. Sondern es sollte Beziehungen geben. Und es gibt einfach solche Beziehungen, wo Objekte entstanden sind, die mit der Funktionalität des Hauses nichts zu tun haben. Genauso wie der Weg ins Wasser ja auch nicht eine funktionale Geschichte ist. Das sind Erlebnisbereiche, die einfach räumlich spannend sind für mich. Es gibt Beziehungen zum See, zum Grundwasser, Beziehungen zum Regenwasser. Ich habe den Zustand gehabt, meiner größten Erfahrung, im Grundwasser.“